Schlagwort: Elterngeld

Elternzeitgeschichten – Mein persönlicher Rückblick auf 2×18 Monate Elternzeit

Papa in Elternzeit

Seit ein paar Tagen ist sie nun vorbei, meine zweite Elternzeit. 18 Monate war ich (wie bei meiner großen Tochter) in Elternzeit. Was ich in den Monaten erlebt habe, wie sich meine Beziehung zu meiner Frau durch die Elternzeit verändert hat, warum wir die Betreuungszeiten aufgeteilt haben, wie sehr ich die Wichtigkeit einer festen Tagesstruktur unterschätzt habe, wie mein Arbeitgeber auf meinen Antrag auf Elternzeit reagierte und worauf ich bei der ersten Elternzeit lange warten musste, darum geht es in meinem Blogbeitrag für die Blogparade „#Elternzeitgeschichten“, zu der „Provinzmutti“ aufgerufen hat.

Wie waren sie, meine beiden Elternzeiten?

Ich bin Vater von zwei Töchter, dem Tiger *2013 und von Lila *2016. Bei beiden Kindern haben ich jeweils 18 Monate Elternzeit genommen.  Schon vor der Geburt unserer ersten Tochter war uns (werdenden) Eltern klar, die Elternzeit teilen wir auf. Ich wollte mehr als nur die sogenannten Vätermonate nehmen und meine Frau wollte nicht zu lange im Job fehlen. Ein weiteres wichtiges Argument: meine Frau ist bei uns die Top-Verdienerin.

In den Monaten vor den Geburten haben wir intensiv überlegt, welche Aufteilung für unsere Kinder und uns am besten ist. Letztendlich haben wir bei beiden Kindern ähnlich entschieden: meine Frau ist die ersten acht und ich die darauffolgenden 18 Monate in Elternzeit gegangen. Der einzige Unterschied: beim Tiger haben wir einen Monat überlappend Elternzeit genommen. Dies war aus organisatorischen Gründen bei Lila leider nicht möglich. Der gemeinsame Monat war wunderbar. Nicht nur wegen der Übergabe des Staffelstabs.

Sich selbst zu vertreten muss gut überlegt sein

Bei beiden Kindern habe ich jeweils sechs Monate Elterngeld bezogen, beim Tiger habe ich mich in diesen Monaten mit fünf Stunden selbst vertreten. Klingt etwas komisch, heißt aber wirklich so. Ganz ohne Job zu sein konnte ich mir vor der ersten Geburt nicht vorstellen. Ich hatte Angst, mir würde die Decke auf den Kopf fallen.

Im Nachhinein waren die Stunden Selbstvertretung eine blöde Idee. Auch wenn es nur fünf Stunden waren, der Organisationsaufwand war ziemlich hoch. Und netto blieben am Ende gerade mal 6 Euro pro Stunde übrig. Der Rest wurde dem Elterngeld angerechnet. Das mag sich ja mit der Einführung vom Elterngeldplus inzwischen verändert haben aber für mich war in der zweiten Elternzeit klar, die ersten sechs Monate bleibe ich komplett zu Hause. Diese besondere Zeit geht so schnell vorbei, die wollte ich mit meiner Tochter genießen.

Das komische Konstrukt mit den vier Bonusmonaten Elterngeldplus

Wir hatten uns 2016 über die Bonusmonate für das Elterngeldplus informiert. Aber richtig schlau wurden wir auf den einschlägigen Internetseiten nicht. Was wir verstanden haben: um einen Anspruch auf die Bonusmonate zu erhalten, müssen BEIDE Eltern vier Monate jeweils zwischen 25 – 30 Stunden/Woche arbeiten. Dann hat man einen Anspruch auf vier weitere Monate Elterngeldplus. Aber das heißt, insgesamt sind beide Eltern vier Monate lang zusammen mindestens 50 Stunden in der Woche im Job. Hinzu kommen noch die anfallenden Fahrwege. Wie soll das gehen? Wer kann seinen Job so flexibel einteilen, dass sein Kind immer betreut ist? Welcher Arbeitgeber spielt da mit? Beispiele aus der Praxis wurden damals auf der Website Elterngeld-plus interessanter Weise nicht vorgestellt. Warum wohl nicht 😉 Daher würde mich interessieren, welche Eltern überhaupt jemals den kompletten Elterngeldplus-Bonus erhalten haben. „Normale“ berufstätige Eltern jedenfalls haben nach meinen Berechnungen keine Chance, außer sie haben bereits andere Betreuungssysteme im Hintergrund (bereits einen Kitaplatz, Tagesmutter oder die Großeltern).

Teilzeit im zweiten Jahr

Wir hatten Glück und haben für beide Kinder jeweils nach einem Jahr einen Kitaplatz bekommen. Dadurch konnte ich noch in meiner Elternzeit die Kita-Eingewöhnung begleiten und anschießend wieder in meinen Job einsteigen. In beiden Elternzeiten habe ich mich im zweiten Jahr selbst vertreten. Beim Tiger waren es die maximal erlaubten 30 Stunden, bei Lila hingegen „nur“ noch 24 Stunden. Jetzt, nach Ablauf meiner zweiten Elternzeit, habe ich meine Arbeitsstunden langfristig auf 24 Stunden reduziert. Meine Frau arbeitet dafür in Vollzeit.

Auch von Interesse? Meinen Beitrag zu „Fünf gute Gründe für Papa-Elternzeit“ findest du hier

Warum überhaupt Elternzeit nehmen, wenn ich doch eh wieder arbeite, wurde ich oft gefragt. Auf der einen Seite wollten wir auf Nummer sicher gehen: Sollte die Eingewöhnung nicht klappen oder sonst irgendetwas sein, hätte ich notfalls das zweite Jahr ganz zu Hause bleiben können, ohne meinen Dienstvertrag ändern zu müssen. Und für die Rente (sollte es für uns später überhaupt noch eine geben) hat es finanzielle Vorteile, wenn man zwar Elternzeit nimmt aber in den Monaten Teilzeit arbeitet. Allerdings benötigt man dafür ein Gespräch bei der Rentenkasse, da automatisch die Mütter als Anspruchsberechtigte im Rentenbescheid geführt werden. Also, liebe Väter in Elternzeit plus Teilzeit schaut mal in eure Rentenbescheide nach, wem von euch Eltern die Kindererziehung für die Rente angerechnet wird.

Aus Planung wird Ernst

Zurück zu meinen Elternzeiten. Auf beide habe ich mich im Vorfeld sehr gefreut und konnte den Beginn kaum abwarten. Hier möchte ich den Start meiner ersten Elternzeit hervorheben, da ich damals noch überhaupt nicht wusste, was alles auf mich zukommen würde. Klar war ich seit der Geburt unserer Tochter aktiv in die Betreuung und Versorgung eingebunden. Aber so ganz alleine, die volle Verantwortung für die kleine Maus? Ganze neun Stunden am Tag? Fünf Tage die Woche? Was, wenn meine Tochter nur noch schreit und ich sie nicht beruhigen kann? Welche Salbe war noch einmal wofür? Was mache ich, wenn der Tiger plötzlich krank wird? Hoffentlich fällt sie mir nicht vom Wickeltisch! Und was muss ich meiner Tochter im April alles anziehen, wenn wir nach draußen wollen?

Wie verbringe ich in meiner Elternzeit bloß den Tag?

Direkt am ersten Tag meiner alleinigen Elternzeit musste ich feststellen, trotz gemeinsamer vierwöchiger Übergangszeit kam es zu deutlichen Wissenslücken. Aber nicht nur das. Auch die Zeit wurde lang. Meine Frau hatte in ihrer Elternzeit einen Pekip-Kurs und einen Babyschwimmkurs besucht, die Hebamme kam regelmäßig und fast jede Woche traf sie ihre Mädels vom Geburtsvorbereitungskurs. Und ich? Ich hatte eigentlich nichts. Zum Pekip-Kurs wollte ich nicht, die Väter vom Geburtsvorbereitungskurs hatte ich nur einmal für zwei Stunden gesehen, blieb noch das Babyschwimmen. Ich bin nicht so der Warmbader, deshalb habe ich den Kurs nur zögernd übernommen. Aber schon das erste Mal im Wasser war der Hammer. Nicht nur, dass meine Tochter vom Wasser total begeistert war, es waren auch ein paar andere Papas mit ihren Kindern im Kurs. Ab da war der Dienstagvormittag geblockt.

Wie wichtig eine Tagesstruktur ist, das war mir vor der Elternzeit absolut nicht klar. Bei gutem Wetter war noch alles okay, wir sind einfach raus in den Garten, haben stundenlang auf der Decke Robben und Krabbeln geübt. Aber bei Regen? Den ganzen Tag im Haus? Das fand ich wirklich anstrengend. Aus diesem Grund habe ich auch nach der ersten Elternzeit zusammen mit zwei Kollegen beruflich einen Vätertreff, die Papazeit, gegründet.

Papazeit – ein Vätertreff in Münster

Seit gut zwei Jahren gibt es den Vätertreff nun. In meiner zweiten Elternzeit bin ich privat als Papa mit Lila jeden Mittwoch zur Papazeit gefahren. Und wer heute noch glaubt, Männer können nicht reden, der sollte mal zu uns nach Münster kommen. Die Tonlage ist etwas tiefer als bei den Müttertreffs aber ansonsten wird dort genauso gequatscht, Fragen gestellt, Antworten gegeben, mit den Kindern gespielt und gelacht.

Tatsächlich war die Tagesstruktur in meiner zweiten Elternzeit gar kein Problem. Nicht unbedingt, weil ich jetzt der Strukturprofi geworden war, nein! Vielmehr gab die Kita den Takt vor. Bis neun Uhr musste der Tiger in die Kita sein. Lag ich mit ihr damals noch stundenlang im Bett, hieß es jetzt gegen sieben Uhr aufstehen, beide Kinder anziehen, Frühstück machen und den Tiger zur Kita bringen. Ganz ehrlich, die entspannte Zeit am Morgen in der ersten Elternzeit habe ich beim zweiten Durchlauf oft vermisst.

Im Antragsdschungel – oder einfach kann jeder

Meine Elternzeit habe ich drei Monate im Voraus beantragt. Im Vorfeld hatte ich meinen Chef schon über meinen Elternzeitantrag informiert. Damals hat er mit den Worten reagiert: „Wenn das bei uns nicht geht, wo dann?“ Überhaupt habe ich im Team nur positive Rückmeldung erhalten. Schwieriger wurde es mit der Verwaltung. Ich war bei uns scheinbar die erste Person überhaupt, die sich in ihrer Elternzeit selbst vertreten wollte. Anders kann ich mir das ganze Durcheinander nicht erklären. Erst hieß es, ich müsste mich in meiner Elternzeit neu krankenversichern, da ich ja einen neuen Dienstvertrag über fünf Stunden erhalten würde. Dann wollte die Elterngeldkasse meinen genauen Stundenlohn wissen, was meinem Personalbüro aber nicht ganz so leicht viel. Jedenfalls hat es bei mir fast drei Monate gedauert, bis mein erstes Elterngeld auf meinem Konto war. Bis dahin musste ich meine vorlaufenden Ausgaben von meinem Ersparten bestreiten. Meiner Frau erging es übrigens bei der zweiten Elternzeit ähnlich. Da war ihre Ansprechperson erst länger erkrankt und hatte anschließend länger Urlaub. Erst durch telefonischen Druck erklärte sich ein Kollege bereit, den Antrag meiner Frau zu bearbeiten. Ob den Mitarbeiter*innen in den zuständigen Ämtern klar ist, in welche finanzielle Not sie Familien bringen können, wenn sie die Anträge – warum auch immer – nicht rechtzeitig bearbeiten?

Persönlich frage ich mich schon länger, ob ein pauschaler Elterngeldbetrag von z.B. 1600 Euro dem Staat und somit dem Steuerzahler nicht genauso viel kosten würde, wie aktuell der finanzielle Verwaltungsaufwand plus die Kosten für das Elterngeld.

Highlights meiner Elternzeit

Die Gesellschaft ist noch nicht auf Väter in Elternzeit eingestellt. Noch sind wir Exoten, jedenfalls die Väter, deren Frauen/Partnerinnen wieder arbeiten und daher die Verantwortung für ihr Kind tagsüber alleine übernehmen. Ich habe dazu schon an der ein oder anderen Stelle auf meinem Blog etwas geschrieben. Mein Lieblingsbeispiel ist immer der Kinderarzt im Kindernotdienst Münster. Ich war für ihn absolute Luft, gesprochen hat er nur mit meiner Frau. Mein Lieblingsausschnitt: Arzt: „Wie schwer ist denn ihre Tochter?“ Ich: „12,8kg.“ Meine Frau „Ich weiß es nicht.“ Arzt: „dann wiegen wir mal lieber.“ Unsere Tochter wird gewogen. Arzt: „13kg, wie gut das wir gewogen haben!“

Anderes Beispiel: Ich bin mit zwei befreundeten Müttern in einem Cafe und muss meine Tochter wickeln. Der Wickeltisch war auf der Damentoilette. Das wusste ich schon, deshalb bin ich einfach in die Damentoilette reingestiefelt. Am Waschbecken steht eine ältere Dame: „Können Sie nicht lesen?“ raunzt sie mich an. Ich: „Doch, aber meine Tochter hat die Windel voll und der Wickeltisch ist nun mal in der Damentoilette.“ „Dann kann doch ihre Frau wickeln.“ Ich: „Das ist schlecht, die ist den ganzen Tag über arbeiten.“ Darauf sagte die Dame nichts mehr und verließ schnell den Raum.

Ähnliches gilt für Besuche im Supermarkt. Wie oft wurde ich angesprochen, ob ich denn ganz alleine mit meiner süßen Tochter einkaufen sei. Gerade für viele ältere Frauen war ich der Held, obwohl ich nur einkaufen war. So wie hunderttausende Mütter und Väter es Tag für Tag auch machen. Die Väter vielleicht nicht immer morgens um halb zehn. Ich konnte damals und kann auch heute nichts heldenhaftes daran erkennen, wenn der Papa mit seinen Kindern einkaufen geht. Ich muss aber gestehen, dass Einkaufen nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählt.

Das waren jetzt ein paar ausgewählte Negativ-Highlights. Es gab auch viele schöne und positive Erlebnisse.

Das Beste zum Schluss

Dank meinen beiden Elternzeiten konnte ich den Alltag mit meinen Kindern erleben. Ich bekam mit, wenn ein neuer Zahn in Anmarsch war, konnte sie trotz Babysprache so gut wie immer verstehen und war bei beiden Töchtern live dabei, als sie ihre ersten Schritte machten. Ich konnte ohne viel Zeitstress mit meinen Töchtern spielen, den Tiger zu ihrem ersten Kindergeburtstag begleiten und Lila nachwinken, als sie das erste Mal den ganzen Tag ohne mich in der Kita blieb.

Durch meine Elternzeit habe ich auch gelernt dankbar zu sein. Ich habe eine tolle Frau, die für die Familie Vollzeit arbeiten geht und mir dadurch ermöglicht viel Zeit mit unseren Töchtern zu verbringen.

Verständnis füreinander

Ich bin jetzt „Mütterversteher“ und meine Frau begreift jetzt Väter. Was ich damit meine? In den ersten acht Monaten kam ich abends teilweise müde aus dem Büro und meine Frau hat nur darauf gewartet, dass ich mich sofort um unsere Tochter kümmere, wenn der Tag für sie mal wieder stressig war. Ich hingegen wollte erst einmal in Ruhe zu Hause ankommen und etwas durchatmen.

Als ich in Elternzeit war, ging uns beiden ein „Licht“ auf. Meine Frau als Workingmom konnte jetzt gut nachvollziehen, warum ich noch ein paar Minuten haben wollte, wenn ich abends von der Arbeit nach Hause kam. Ich als Daddyathome wiederrum merkte wie froh ich war, wenn sich der Schlüssel im Schloss drehte und ich meiner Frau nach Hause kam. Oft hätte ich ihr am liebsten schon auf der Türschwelle unsere Tochter übergeben.

Seit unseren beider Elternzeiten haben wir viel Verständnis für die jeweilige Situation des Gegenübers. Was überhaupt nicht heißen soll, dass wir nicht auch mal heftig aneinandergeraten. Das Gefühl, ich brauche jetzt mal Zeit für mich, kann weder Mann noch Frau so einfach zur Seite schieben. Unser Vorteil: wir kennen beide Rollen. Vielleicht fällt es uns deshalb leichter, über unsere Bedürnfisse zu sprechen und eine gute Regelung auszuhandeln. Denn das ist die zweite wichtige Erkenntnis meiner Elternzeit: uns als Eltern und als Paar geht es nur dann gut, wenn wir miteinander reden und Missverständnisse und negative Gefühle ansprechen.

Und noch eine Sache ist mir wichtig: Durch die Elternzeit ist mein Selbstbewusstsein deutlich gewachsen. So viele unvorhersehbare Krisen und Gefahren, die ich gemeinsam mit meinen Töchtern erfolgreich gemeistert habe. Soll heißen: Elternzeit fördert das eigene Selbstbewusstein und der Satz: „Ich schaffe das!“ gehört jetzt fest zu meinem eigenen Selbstverständnis.

Was die Politik für Eltern tun sollte!

SIEBEN IST DIE NEUE NEUNZEHN!

Uns Eltern wird gerne ein schlechtes Gewissen eingeredet. So meint beispielsweise Frau Lottritz in der Süddeutschen Zeitung: „Wer als Familie in der Elternzeit von Mama und Papa länger in den Urlaub fährt ist unverschämt, denn er macht Urlaub auf Staatskosten“

Die Wahrheit ist, wir Eltern werden von Geburt unseres ersten Kindes an zur Kasse für den Staat gebeten. Das beginnt schon direkt nach der Geburt. Da geht Papa noch ganz glückselig sein Kind beim Einwohnermeldeamt anmelden und schon hat er die ersten Euro bezahlt, Bearbeitungsgebühr wird das genannt. Immerhin bekommt man dafür drei Geburtsurkunden  gratis. Jede weitere kostet allerdings extra. Dann geht es gleich weiter. Papa fährt (wenn die Eltern nicht vor der Geburt schon alles besorgt haben) zum nächstgelegenen Drogeriemarkt und kauft Pampers, Feuchttüchter, Schnuller, … Und bei jedem Produkt hält der Staat seine Hand auf. Und nein, der Vater Staat ist nicht so nett und nimmt „nur“ sieben Prozent Mehrwertsteuer Natürlich nicht! Die hochwertigen Babyprodukte sind mit 19 Prozent besteuert. Auch beim Kauf eines Babyphones, einer Wärmelampe oder eines Kinderwagens, egal ob im Fachgeschäft oder im Internet, 19 Prozent vom Endpreis bekommt die Staatskasse. Und bei einem Kinderwagen, der beispielsweise mit 600 Euro ausgeschildert ist, sind das satte 114 Euro. Da freut sich der Finanzminister. Nur der Babybrei oder das Milchpulver gehören Gott sei Dank zur Kategorie Lebensmittel und werden mit sieben Prozent besteuert.

Anderes Rechenbeispiel: Eine 90er-Packung Pampers Größe 3 kostet im Laden um die 18 Euro. 19 Prozent davon sind Mehrwertsteuer. Also gehen von jeder vollen Windel 3,8 Cent an die Kassen von Stadt, Land und Bund. Das sind bei durchschnittlich 6 Windeln am Tag 83,22 Euro im Jahr. Bei sieben Prozent Mehrwertsteuer wären es nur 30,66 Euro. Macht 52,56 Euro Differenz. Und bei einem Vater oder einer Mutter, die für acht Euro Mindestlohn arbeiten, heißt das 6,5 Stunden nicht bei der Familie zu sein, sondern im Unternehmen (ja, ich weiß, der Vergleich hinkt. Die wenigsten Eltern mit Mindestlohn kaufen Pampers).

Und bei uns in Münster geht es noch weiter. Die volle Windel muss ja wohin. Also ab in den Restmüll. Kommen Paare ohne Kinder in der Regel mit der kleinsten 35l Tonne aus, ändert sich das mit dem ersten Kind schlagartig auf wenigstens 60 Liter. In Münster sind das Mehrkosten in Höhe von 42,60 Euro pro Jahr. Ich weiß, es gibt inzwischen Städte, die sind bezüglich Windelmüll familienfreundlicher. Münster leider nicht. Also: Augen auf bei der Städtewahl 😉

Zurück zum Neugeborenen. Oma und Opa stehen schon nach wenigen Stunden am Babybett und sind total begeistert vom Nachwuchs. Natürlich haben sie auch Geschenke mitgebracht. Ein Schmusebär, ein Schnuffeltuch oder das erste kleine Spielzeug. Wieder gehen bei all den Geschenken 19 Prozent direkt aus der Ladenkasse auf das Konto vom Staat. Sollten die stolzen Großeltern der Tochter bzw. Schwiegertochter allerdings Schnittblumen mitbringen, dann ist der Staat so gerührt, dass er nur 7 Prozent haben möchte.

Also unterstützt nicht der Staat uns Familien, sondern WIR – die Eltern aus NRW, Bayern, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, usw. – sind die Staatskassenfüller Nummer 1. Wir Eltern sind die Top-Steuerzahler, weit vor Bertelsmann, Siemens, Thyssen-Krupp und wie die großen Konzerne alle heißen. Und da wir Familien ganz viele Baby- Kinder- und Jugendsachen kaufen, hat der Staat das Kindergeld und alle anderen Familienleistungen ganz schnell wieder eingespielt.

Dieses Jahr ist Superwahljahr. Die Politik hat plötzlich die Familien in den Blick genommen. Überall hängen schöne Plakate mit glücklichen Kindern und Eltern, gerne mit dem Spitzenpolitiker in der Mitte. SPD, CDU/CSU, GRÜNE und FDP, alle wollen so gerne etwas für Familien tun. Auf den Plakaten und den Wahlprogrammen geht es meist um Kitaausbau, einen besseren Betreuungsschlüssel, Ganztag und um G8 oder G9. Unsere aktuelle Familienministerin hat gerade ihr „Familienarbeitszeit“ und „Familiengeld“ aus der Schublade geholt und die CSU will plötzlich ein „Kindersplitting“ und „Baukindergeld“ Die CDU, FDP und die GRÜNEN haben bestimmt auch ein paar schöne Ideen.

Was ich bislang von keinem Politiker bzw. von keiner Politikerin gehört habe, ist die Forderung nach sieben Prozent Mehrwertsteuer auf alle Kinderprodukte. ALLE, egal ob es die oben bereits erwähnte Pampers ist, das Wickeltuch, das Beistellbett, das Jugendfahrrad, der Schultornister, das Brettspiel, die Winterjacke in Größe 178, Fußballschuhe oder der Familienurlaub ist. Das wäre aus meiner Sicht eine deutliche Entlastung für alle Eltern. Aber so ein Vorschlag braucht Mut, Selbstbewusstsein, Durchsetzungsfähigkeit und Verständnis für die Lebenssituation von Familien. Und diese Fähigkeiten haben scheinbar die wenigsten VolksvertreterInnen. Dabei sind viele selbst Mutter oder Vater und somit ebenfalls fleißige 19 Prozent-Kinderprodukte-ZahlerInnen. Meine Tochter würde mich jetzt vermutlich fragen: „Papa, warum ändern die das nicht?“ Und da wäre wieder so eine Frage, die Papa mal nicht auf die Schnelle beantworten kann. Aber vielleicht nehmen sich die Parteien doch einen Ruck und am Ende 2017 kann ich zu meinen Kindern sagen: „Sie haben es geändert.: SIEBEN IST DIE NEUE NEUNZEHN!