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Lieblingskind – darf ich ein Kind besonders lieben?

Kind Nummer 1

Wenn ich Familien auf dem Spielplatz oder beim Einkaufen beobachte, stelle ich immer wieder fest wie unterschiedlich Geschwister doch (meistens) sind. Da gibt es das mutige Mädchen, das auf das höchste Spielgerüst klettert; den schüchternen Jungen, der immer in der Nähe seiner Eltern bleibt; Geschwister, die stundenlang ohne Streitigkeiten zusammen im Sandkasten spielen und Geschwister, die ohne Mama oder Papa als Streitschlichter nicht einmal fünf Minuten zusammen im Fahrradanhänger sitzen können.

Dabei sind sie eng verwandt – enger geht es nur als eineiige Zwillinge – werden ähnlich erzogen und sind trotzdem (oft) so verschieden. Was, wenn uns der Sohn an eine Person erinnert, die wir absolut nicht ausstehen können oder wir die Wesensart der Tochter nicht mögen? Können wir überhaupt zwei Kinder mit derselben Inbrunst lieben? Können wir unsere Kinder gleichberechtig behandeln?

Was, wenn ich meine Tochter voll doof finde?

Während der ersten Schwangerschaft meiner Frau hatte ich viele Ängste. Wird alles gut gehen? Bekommen wir ein gesundes Kind? Wie werde ich als Vater sein? Schaffe ich das alles? Und, die Angst meine Tochter im Arm zu halten und sie nicht zu lieben. Was, wenn ich meine Tochter voll doof finde und die Chemie zwischen uns einfach nicht passt?

Allerdings hatte ich die Rechnung ohne Mutter Natur gemacht. Dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, welches direkt nach der Geburt durch meinen ganzen Körper strömte, das war Vaterliebe pur. Wir hatten sofort eine besondere Verbindung. Weil meine Frau nach dem Kaiserschnitt noch im OP bleiben musste, bekam ich den Tiger auf meine Brust. Was für ein phantastisches Feuerwerk der Gefühle! Da lag sie, in Handtüchern gewickelt und innerhalb von Sekunden fand sie den Weg in mein Herz.

Zweieinhalb Jahre gab es nur uns. Meine Frau, den Tiger und mich. Hunderte besonderer Momente und Augenblicke: Das erste Lachen, die erste Drehung, der erste Zahn, … all diese besonderen Milestones im Leben unserer Tochter.

Die Angst kehrt zurück

In der zweiten Schwangerschaft kehrten die Ängste zurück. Und mit ihnen eine neue Befürchtung: Habe ich genug Liebe für zwei Kinder? Kann ich ein zweites Kind so lieben wie den Tiger? Und, was ist wenn ich das Kind plötzlich mehr liebe als meine Große?

Seit April 2016 sind wir zu viert. Und auch bei der Geburt von Lila hat mich Mutter Natur nicht im Stich gelassen. Kaum hatte ich meine Tochter zum ersten Mal erblickt, war die Liebe auch schon da. Aber wie ist es mit der Angst, ob ich zwei Kinder gleichberechtigt lieben kann? Empfinde ich wirklich für beide Töchter die gleichen Emotionen? Oder muss ich mir eingestehen, dass ich ein Lieblingskind habe?

Habe ich wirklich ein Lieblingskind?

Fakt ist, ich liebe beiden Töchter über alles. Den Tiger seit über 4,5 Jahren und Lila seit knapp zwei Jahren. Nach dieser Rechnung haben meine ältere Tochter und ich 2,5 Jahre Vorsprung, um eine feste Bindung aufzubauen. Empfinde ich deshalb mehr für sie? Oder hat sich Lila in meinem Herzen mehr ausgebreitet, weil sie noch so klein und niedlich ist und genau weiß, wie sie Papa anschauen muss?

Fakt ist auch, dass ich mit beiden Kindern unterschiedliche Erlebnisse und Gefühle verbinde. Erlebnisse, die meine Beziehung zu der jeweiligen Tochter prägen bzw. geprägt haben. So habe  ich mit dem Tiger alles zum ersten Mal erlebt. Dafür hatte ich bei Lila schon etwas Routine und konnte einige dieser Momente intensiver in mich aufsaugen.

Und nicht zu vergessen, beide haben ihren ganz eigenen Charakter. Einige Wesenszüge kommen mir bekannt vor 😉 einige sind mir völlig fremd.

Durch das Alter ergeben sich Unterschiede

Und trotzdem behaupte ich von mir, dass ich beide Kinder gleich behandele. Also meistens jedenfalls. Aber alleine durch das jeweilige Alter (auch wenn es „nur“ 2,5 Jahre sind) ergeben sich Unterschiede. Die sind nicht gravierend aber sie sind da. Beispielsweise erwarte ich von der Großen, dass sie den Wunsch, gemeinsam ein Buch anzuschauen, auch mal aufschieben kann bis ich Zeit für sie habe. Bei der Jüngeren reagiere ich in der Regel schneller, von ihr erwarte ich noch nicht, dass sie länger abwarten kann, bis ich Zeit für sie habe.

Oder ganz praktisch: der Tiger kann – wenn sie will – in wenigen Sekunden ihre Jacke anziehen. Wenn ich das von Lila erwarten würde, wäre es für sie aktuell eine Überforderung. Also ja, ich behandele meine Kinder unterschiedlich, was aber nicht heißt, dass ich für beide Kinder nicht die gleichen Gefühle habe. Meistens jedenfalls. Denn es gibt auch Momente, da spüre ich mehr Nähe zu einer meiner beiden Töchter.

Ja, ich habe ein Lieblingskind – manchmal

Wie das kommt? Oft sind es Verhaltensweisen von einem der Kinder, die über Tage anhalten und mich emotional anstrengen. Beispielsweise wenn eine der beiden auf meine Ansprache nicht reagiert bzw. genau das Gegenteil von dem macht, was ich gerade gesagt habe. Hält dieses Verhalten länger an, dann bin ich genervt. Und wenn dann die andere genau in dem Moment auf ein „Stop“ oder „bitte warten“ hört, ja dann habe ich – für eine kurze Zeit – ein Lieblingskind.

Und kennt nicht jede/r von uns, der/die mit einem oder mehreren Geschwistern aufgewachsen ist, das Gefühl den Lieblingskind-Pokal in den Händen zu halten oder eben leer auszugehen. Wenn sich beide Emotionen die Waage halten, dann ist meiner Meinung nach das Optimum erreicht. Eltern können nicht dauerhaft ihre Liebe, Anerkennung, Zeit, Aufmerksamkeit, usw. exakt 50 zu 50 verteilen.

Ich jedenfalls würde mich freuen, wenn meine Kinder in 20 Jahren sagen: „Mama und Papa lieben uns von Herzen und ja, ab und an war ich das Lieblingskind und ja, ab und an war es meine Schwester.“

Vorsicht! Väter überrollen ihre Kinder im Schlaf!

Heute muss ich mal etwas meckern! Schuld ist das Buch „Ich will bei euch schlafen! von Sibylle Lüpold. Wir hatten und haben bei unserer Großen immer mal wieder längere Phasen mit Einschlaf- bzw. Durchschlafschwierigkeiten. Ich wollte mehr über das Co-Sleeping wissen. Kurzerhand habe ich im Netz das Buch von Frau Lüpold bestellt. Immerhin wurde es von Medizinern und Stillberaterinnen empfohlen.

Beim Auspacken fiel mein Blick gleich auf das Cover: mein Gott, was für ein Klischeebild! Kind ganz nah an Mama gekuschelt, der Papa hält schützend seinen Arm über seine kleine Familie und mit der anderen Hand hält er den Arm seiner Partnerin. Warum liegt das Kind nicht in der Mitte der Eltern? Im Buch beim Thema Sicherheitsmaßnahmen angekommen, bekam ich von Frau Lüpold die Erklärung: „Das Baby liegt besser nicht zwischen den Eltern, sondern nur neben der Mutter. Dies ist sicherer, da sich diese auch im Schlaf der Anwesenheit des Babys bewusster (als der Vater) ist.“Genau, wir väterlichen Gefühlspanzer überrollen nachts unsere Babys im Schlaf, weil uns ja dieses Bewusstsein fehlt.

Noch heftiger ist die Rolle, die Frau Lüpold den Vätern zuschreibt: „Fühlt sich die Mutter ständig gezwungen, zwischen den Bedürfnissen ihres Kindes und denen ihres Mannes zu entscheiden, können sich ihre mütterlichen Instinkte nur schlecht entfalten. Der Vater kann eine andere, nicht minder wertvolle Beziehung zu seinem Kind aufbauen, indem er sich an dessen Pflege beteiligt, es häufig trägt und später viel mit ihm spielt. Für viele Kinder wird der Vater bald zu einem Helden, auf den sie sehr stolz sind und mit dem sich wunderbar herumtoben lässt.“

Heißt dass, wir Väter sind verantwortlich für die Qualität der Entfaltung der mütterlichen Instinkte? Aber was ist mit väterlichen Instinkten? Wer kümmert sich um die? Und warum sollen wir Väter uns auf die Rolle als Trage, Tobe- und Spielepapa beschränken? Was ist mit der emotionale Versorgung unserer Kinder? Sollen wir da kneifen?

Ich habe schon sehr viele Bücher und Artikel über Eltern-Kind-Bindung gelesen. Leider steht Frau Lüpold mit ihren Ansichten nicht alleine da. Wenn von einer gelungen Eltern-Kind-Bindung gesprochen wird, taucht der Begriff Vater selten auf. Es wird in der Regel von Mutter-Kind-Bindung gesprochen und dann von weiteren Bezugspersonen. Unter diesem Sammelbegriff ist dann – neben Erzieherinnen – auch der Vater zu finden.

Ich persönlich bin der Meinung, dass Väter durch aktive Vaterschaft mit den Müttern gemeinsam die wichtigsten Bindungspersonen sein können. Insbesondere dann, wenn Väter mehrerer Monate Elternzeit nehmen und/oder die Väter viel Alltagszeit mit dem Kind alleine erleben können.

Überall und immer wird darauf hingewiesen, dass Väter den emotionalen Teil nicht übernehmen, wenig Kontakt zum Kind suchen, etc..  Das wird sich nicht ändern, wenn Stillberaterinnen und Mediziner dieses Buch weiterhin empfehlen, Mütter die Anmerkungen in diesem Buch anwenden und die Väter sich in die enge Rolle als Spiele- und Tobepapa festhalten/drängen  lassen bzw. sich mir ihr zufrieden geben.